Wo die wilden Kräuter wachsen

Vorfreude ist die schönste Freude heißt es bekanntlich. Aber die wenigsten von uns würden so weit gehen zu sagen, dass der Vorfrühling der schönste Frühling ist. Meistens ist es um diese Zeit dann doch noch zu kalt, zu grau und zu regnerisch für Aktivitäten in der Natur. Die Natur wiederum ist Mitte Februar schon mächtig aktiv. Für den geliebten Bärlauch ist es vielleicht noch etwas früh (andererseits, der Winter war mild, also wer weiß …), aber viele andere Pflanzen zeigen sich auch jetzt schon von ihrer essbaren Seite.

Warum überhaupt Wildkräuter?

Das sagt der Sparfuchs: Sie sind gratis (und apropos Fuchs: Die Angst vor dem Fuchsbandwurm, die mich in Form einer besorgten Mutter während meiner Kindheit um viele leckere Himbeeren und Brombeeren gebracht hat, ist unbegründet).

Das sagt der Hamster: Auch während der Pandemie war die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung nie in Gefahr. Aber wäre es nicht trotzdem schön zu wissen, welche essbaren Pflanzen direkt vor der Haustür wachsen? 

Das sagt die Wissenschaft: Ohne Wildkräuter wären viele unserer Vorfahren verhungert oder an den Folgen einer Mangelernährung gestorben. Im Laufe der Jahrhunderte haben die Menschen unsere Kulturpflanzen durch das Züchten auf bestimmte gewünschte Merkmale verändert. Dadurch sind viele Obst- und Gemüsesorten heutzutage etwa ertragreicher, weniger bitter, größer und länger haltbar im Vergleich zu ihren ursprünglichen Wildvarianten. Das ist gut, um viele Menschen zu ernähren, geht aber in vielen Fällen mit Einbußen beim Geschmack und Nährstoffgehalt einher. So enthalten fast alle Wildkräuter mehr Vitamin C und Eisen als das Kulturgemüse im Supermarkt. Unsere heimische Brennnessel etwa enthält sieben Mal so viel Vitamin C wie eine Zitrone. Und mit 31 % Eiweißanteil lassen die Samen die bei Kraftsportlern so beliebte Hähnchenbrust locker hinter sich. 

Nicht zuletzt können Wildkräuter und Pflanzen richtig lecker sein. Frischer und regionaler wird es nicht. Und Bewegung an der frischen Luft hat sowieso noch niemandem geschadet. 

Ein paar Worte vorweg

Grundsätzlich gilt: Man kann alles mindestens einmal essen. Aber im Ernst: Jeder sammelt immer nur auf eigene Verantwortung. Am besten jede Pflanze Merkmal für Merkmal bestimmen und sich nicht (nur) auf YouTube Videos oder Pflanzen-Erkennungs-Apps verlassen.  

Beim Sammeln von Blumen, Pflanzen und Kräutern spricht man von der „Handstrauß-Regel“ für den Eigenbedarf. Das heißt, erlaubt ist in etwa die Menge, die in ein Weidenkörbchen passt. Wichtig ist darauf zu achten immer nur so viel zu sammeln, dass der Bestand nicht gefährdet wird. Andere Tiere oder Menschen sollen sich ja schließlich auch noch daran erfreuen dürfen. Oder man selbst im nächsten Jahr. Naturschutzgebiete sind selbstverständlich tabu.

Beim Querfeldeingehen achtet man darauf, dass keine Pflanzen oder Tiere zu Schaden kommen (zum Beispiel Bodenbrüter im Vorfrühling). Hunde gehören an die Leine. 

Wo man sammelt, ist jedem selbst überlassen. Im Zweifelsfall vielleicht nicht direkt neben der Autobahn oder dem Feld, das gestern noch gedüngt wurde.

Und was wächst jetzt hier?

Viele essbare Wildpflanzen haben die meisten von uns direkt im Garten stehen, oft zum Unmut der Gartenbesitzer: Die bereits erwähnte Brennnessel, aber auch Löwenzahn, Giersch und Gänseblümchen. Vielleicht ist gegenanessen ja die bessere Strategie als heraus zu rupfen?

Noch interessanter wird es, wenn man sich in Wald und Wiese umschaut. Um diese Zeit lassen sich zum Beispiel die folgenden Kräuter in und um Travenbrück finden:

Scharbockskraut

Scharbock ist ein älterer Name für Skorbut. Tatsächlich wurde es früher mit auf See genommen und aufgrund seines hohen Vitamin C Gehalts zur Skorbut-Vorbeuge genutzt. Nur die Blätter vor der Blüte verwenden, z.B. als Salatbeigabe, im Kräuterquark oder als Zutat für einen grünen Smoothie.

Erkennungsmerkmale: herz- bis nierenförmige Blätter, gekerbter Blattrand, glänzende Blattoberseite, stärkehaltige Wurzelknöllchen am Rhizom  

Vogelmiere

Der frühe Vogel unter den Wildkräutern kann selbst unter einer geschlossenen Schneedecke munter weiterwachsen. Aufgrund der enthaltenen Saponine wird vom übermäßigen Verzehr abgeraten. Der Geschmack erinnert an rohen Mais. Schmeckt als Salatzugabe, im Smoothie oder als Pesto.

Erkennungsmerkmale: eiförmige, spitze Blätter, Stiel an einer Seite behaart

Gundermann

Vor der Kultivierung des Hopfens häufig zum Bierbrauen und bei der Käseherstellung als Labersatz verwendet. Enthält viele ätherische Öle, die für einen harzig-würzigen Geschmack sorgen. Gekocht als Suppengemüse oder als Würzkraut verwendbar. Harmoniert gut mit Schokolade.

Erkennungsmerkmale: kreuzgegenständige Laubblätter, rundlich bis herzförmig, gekerbter Blattrand, minzig-lakritziger Duft

Judasohr

Okay, Pilze zählen nicht zu den Pflanzen. Aber neben Flora und Fauna ist auch die Funga im Februar nicht untätig. Das Judasohr kam angeblich zu seinem Namen, weil sich Judas nach seinem Verrat an Jesus an einem Holunderbaum erhängt hat. Zumindest der Teil mit dem Holunder stimmt, denn an seinen abgestorbenen Ästen ist dieser Vitalpilz häufig anzutreffen. In der chinesischen Küche und Medizin ist er als Mu-Err Pilz bekannt, was so viel wie „Baumohr“ bedeutet. Form und Konsistenz erinnern tatsächlich an das menschliche Ohr. Einen besonders starken Eigengeschmack hat das Judasohr nicht, nimmt aber Saucen und Marinaden gut auf. Eine entzündungshemmende Wirkung ist wissenschaftlich bestätigt.

Viel Spaß bei euren Streifzügen! Sobald der erste Bärlauch da ist, folgen Fotos. Aber wo er genau wächst, wird nicht verraten. ☺

Text: Henner Witt

Ein Gedanke zu „Wo die wilden Kräuter wachsen“

  1. Super geschrieben, dankeschön 🌱. Ich freue mich auch schon auf Zugaben zu meinem grünen Smoothie. Und auf bevorstehende Wildkräuterführungen.